Der letzte Müller der Herklotzmühle, unser Ehrenmitglied Bernhard Herklotz – genannt Hardi.
Hardi, wie und wann ist deine Familie zur Herklotzmühle gekommen?
Mein Vater hat die Mühle am 08. Januar 1925 zusammen mit seinem Vater, also meinem Großvater (selbiger war Mühlenbesitzer und Bürgermeister in Rehefeld), von der Witwe des verstorbenen Vorgängers Oskar Nitsche gekauft. Kurz danach ist meine Familie - ich war noch nicht geboren - also meine Eltern mit meinen zwei älteren Schwestern, die in Rehefeld geboren wurden, in der Mühle eingezogen und zwar in die Wohnung, die bis dahin von der Witwe Nitsche bewohnt wurde. Soweit mir bekannt, ist die Frau Nitsche ganz pünktlich jeden Monat mit dem Zug von Rechenberg-Bienenmühle nach Hermsdorf-Rehefeld gekommen, dann zur Mühle gelaufen, um von meinem Vater die Zinsen abzuholen.
Hardi, es wird erzählt, dass du in der Mühle direkt über dem Wassergraben geboren worden bist. Würdest du bitte die Wohnung näher beschreiben und mit wie viel Personen habt Ihr dort gewohnt?
Nach der Geburt meiner Zwillingsschwester und mir haben sechs Personen in der Wohnung gewohnt. Ich kann mich noch besinnen, dass wir also eine Stube hatten – eine Wohnstube, wo an der Fensterseite ein großer Tisch stand mit einer Bank, dann kam ohne Wand dazwischen die Küche, da war ein Kachelofen mit einer anschließenden Herdplatte auf der gekocht wurde. Am Kachelofen war eine Ofenbank, auf der ich mich als ganz kleiner Junge oft gewärmt habe. Weiter gab es einen Küchenschrank und einen Tisch und das war schon alles. Von der Küche aus führte eine Tür zum Schlafzimmer, das nicht allzu groß war. Ich glaube hier gab es sogar ein Doppelstockbett, das weiß ich aber nicht mehr so genau. Jedenfalls bin ich in diesem Zimmer gemeinsam mit meiner Zwillingsschwester am 27. Oktober 1927 geboren worden. Beheizbar war in der Wohnung nur die Wohnstube mit der angeschlossenen Küche. Als Heizmaterial gab es damals nur Holz. An die Beleuchtung kann ich mich nicht mehr richtig erinnern. Ich vermute aber, dass mit Karbidgas beleuchtet wurde. Reste der Anlage wurden erst in den letzten Jahren demontiert. Eine Wasserleitung gab es in der Alten Mühle nicht. Das Wasser wurde aus dem Mühlgraben entnommen. Als Toilette gab es nur ein sogenanntes Plumpsklo.
Hardi, welche Erinnerungen hast du noch an deine früheste Kindheit?
Das ist eine wunderbare und weit in meine früheste Kindheit hineinragende Erinnerung. Als die Bauleute am großen Tisch in der Küche saßen, die Zimmerleute, die Maurer, ich sehe sie noch alle dort in ihrer Zunftskleidung - und da habe ich dort auf der Schwelle zum Schlafzimmer gesessen und in einem kleinen Kaffeetopf aus Emaille eingebrockte harte Brötchen oder Hörnchen mit ein bischen Kaffee und einem Löffel Zucker, da sank das dann so runter, wurde umgerührt und das war mein Frühstück. Das war gewesen im Sommer 1929, da war ich also noch lange keine zwei Jahre. Zu den harten Brötchen muss ich noch etwas sagen. Wir hatten eine verwandte Familie in Pirna, die hatten eine Bäckerei und Konditorei, das war die Firma Klunker. Die Klunkers kannten unsere etwas ärmliche Situation und sammelten deshalb für uns altbackene Brötchen, Zwieback, Hörnchen usw. in einem großen Zuckersack aus Hanf und schickten uns diesen in Abständen an den Bahnhof Hermsdorf-Rehefeld. Mein Vater ist dann mit seinem Fahrrad, ich bin auch einmal mitgenommen worden, zum Bahnhof gefahren und hat den großen Sack abgeholt. Dieser stand später im neuen Wohnhaus, immer oben auf dem Boden, neben der Esse, wo es schön warm war und deshalb nichts schimmeln konnte. Wir hatten eine große Schüssel und wenn die leer war, wurde sie auf dem Boden wieder gefüllt. Ich kann mich auch noch besinnen, wie wir dort in der kleinen Küche gebadet wurden in einer Zinkbadewanne, die wurde von draußen rein geholt, dann kam warmes Wasser rein. Meine großen Schwestern haben uns dabei betreut. Die Erika hat mich gebadet und die Erna hat sich um meine Zwillingsschwester gekümmert. Nach dem Baden und Abtrocknen haben wir uns mit unseren Nachthemden auf die Ofenbank gesetzt das Nachthemd so über die Knie gezogen und gewärmt. Es gibt auch noch ein ganz altes Bild von dem großen Sandhaufen, der zum Bau nötig war. Das war Zinnwalder Sand, der so glitzerte und hier sehr gut verwendet werden konnte. In dem Sand haben wir mit ein paar Holzstückchen wunderbar spielen können. Es gab auch noch einen ganz verbogenen Wagenreifen, der schon gar nicht mehr rund, aber zum Spielen bestens geeignet war. Und dann gibt es da noch eine ganz besondere Sache. Meine Mutter hat ja immer auch in der Mühle mit arbeiten müssen neben der Landwirtschaftsarbeit und der Haushaltsführung. Sie stand zum Beispiel oft an der Kreissäge und hat auch mit meinem Vater am Gatter gearbeitet. Meine zwei älteren Geschwister waren in der Schule in Seyde und wir Zwillinge waren uns eigentlich selbst überlassen. Meine Mutter konnte uns nicht beaufsichtigen und was hat sie gemacht in der wärmeren Jahreszeit, sie legte uns ein selbstgenähtes Geschirr um und hat uns mit einer 3-4 m langen Leine an einem Pfahl angebunden. Da haben ihr wohl die Schafe oder Kühe als Vorbild gedient. Aber was sollte sie machen, gleich neben der Mühle flossen ja der Mühlgraben und die Wilde Weißeritz. Als sie wieder mal nach uns schauen wollte, hat sie schon von weitem großes Geschrei gehört und als sie der Sache auf den Grund ging, musste sie feststellen, dass sie uns auf einem großen Ameisenhaufen angepflockt hatte. Ich kann mich auch noch ganz deutlich erinnern, wie ich in dem großen kombinierten Sportwagen gelegen habe, hier draußen an der Straße. Die Erika hielt meinen Wagen und die Erna den anderen Wagen, da kam der Briefträger von Hermsdorf mit einem grünen oder roten Fahrrad, gelb war es jedenfalls nicht, und hat die Post gebracht. Der Briefträger war immer ein bisschen zum Scherzen aufgelegt und kam an meinen Kinderwagen und sagte: ich nehme deine Schwester mit, was mich zu einem mörderischen Gebrüll veranlasste.
Hardi, wann wurde euer neues Wohnhaus gebaut und wie konnte deine Familie diese gewaltige Aufgabe schaffen?
Die Grundsteinlegung für das neue Wohnhaus erfolgte ganz zeitig im Frühjahr 1929. Da gibt es noch ganz alte Bilder wo wir kleinen Kinder auf einer Decke sitzen und von einer Verwandten betreut werden und mein Vater unten steht mit Schaufel und Hammer und der Grundstein wurde gelegt für dieses Haus. Der Rohbau einschließlich Dach und das gesamte Erdgeschoss war bereits im Spätherbst 1929 fertig und das Erdgeschoss konnte von uns bezogen werden. Der erste und zweite Stock waren nur als Rohbau fertig. Eine enorme Leistung von dem Baumeister Tröger aus Oberbärenburg und den von ihm beaufsichtigten Handwerkern. Ich kann mich noch erinnern wie im Folgejahr die erste Etage und die zweite Etage mit den Fremdenzimmern ausgebaut worden. Überall standen Gerüste, zwischen denen wir als Kinder sehr gern herumturnten. Dabei waren Hobelspäne und abgeschnittene Holzreste für uns willkommenes Spielzeug. Während der Bauphase hat meine Mutter ganz Großes geleistet. Sie hat nahezu alle Fenster ausgeputzt und die Räume ge- weißt.
Wie hat denn deine Familie die finanzielle Seite bewältigen können?
Natürlich mussten Kredite aufgenommen werden. Die damit verbundenen Hypotheken haben wir noch kurz vor der Wende tilgen können. Mein Vater hat etwas Geld gehabt, weil er in Rehefeld ein Haus, in dem meine Eltern auch zur Miete wohnten, überschrieben bekommen hatte von einem alten Ehepaar, dass von meiner Mutter bis zum Tode gepflegt worden ist. Das Ehepaar war kinderlos und hat aus Dankbarkeit für die jahrelange gute Pflege meinen Eltern das Haus überschrieben. Und als meine Eltern in die Mühle gezogen sind haben sie das Haus verkauft und damit für den Neubau einen Grundstein gelegt. Glücklicherweise steckte das Geld schon in unserem Neubau bevor es von der Inflation gefressen werden konnte.
Hardi, bitte beschreibe uns den Alltag in der Mühle, wann wurde aufgestanden bzw. zu Bett gegangen, wie war die tägliche Verpflegung, wie habt ihr euch mit Lebensmitteln bevorratet, wie und wo habt ihr eingekauft (besonders im Winter), standen euch öffentliche Verkehrsmittel zur Verfügung?
Ich fange gleich mit dem letzten an. Öffentliche Verkehrsmittel gab es zum Einkaufen nicht. Es fuhren zwar die Busse der Reichspost an unserem Haus vorbei aber nur früh und abends. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, dass meine beiden älteren Schwestern mit dem Handwagen mit uns kleinen Geschwistern nach Rehefeld in die Herklotzmühle, aus der mein Vater stammte, fahren mussten. Dort gab es eine Bäckerei, einen Kolonialwarenladen sowie das Sägewerk und eine Gastwirtschaft und auch etwas Landwirtschaft. Und dort in diesem Kolonialwarenladen gab es alles, vom Senf über Grieß und Reis, Zucker, Salz, Gewürze, Öl, Butter, usw. Alles lag wohl geordnet in den zahlreichen Holzschiebern. Wir kauften neben vielen anderen Dingen immer einen Eimer Marmelade im Wechsel mal rot, zum Beispiel Erdbeermarmelade, und mal gelb, zum Beispiel Aprikosenmarmelade. Natürlich wurde bei den Einkäufen auch immer Brot mitgenommen, mindestens zwei große Rundbrote. Wir haben auch immer einen Zentner Hühnerfutter mitgenommen, weil meine Mutter Hühner und Gänse hatte. Wir hatten auch 2-3 Kühe und ein Schwein und haben natürlich auch Butter und Quark selbst hergestellt.
Der Alltag in der Mühle war natürlich besonders für meine Eltern nicht einfach. Schon sehr zeitig am Morgen wurden von meiner Mutter die Tiere versorgt also füttern und melken. Danach hat sie sich in der Küche um das Frühstück gekümmert. Es gab Kaffee-natürlich nur „Blümchen“. Mein Vater war schon längst in der Mühle und wurde dann zum Frühstück gerufen. Meine großen Geschwister brauchten für ihren Schulweg ca. eine halbe Stunde, Schulbeginn war 8:00 Uhr. Neben der üblichen Hausarbeit und vielen Einsätzen in der Mühle hat meine Mutter auch das tägliche Mittagessen vorbereitet. Es gab sehr oft Kartoffeln, die meine Eltern ebenso selbst anbauten wie Gerste. Außerdem hatten wir mehrere Wiesen gepachtet um Frischfutter und Heu für unsere Tiere zu gewinnen. Wir hatten immer so 3,5 bis 4 ha an Pachtland zu betreuen. Dazu gehörten alle Wiesen rund um die Herklotzmühle, die wir vom Forst gepachtet haben. Das Gras wurde mit der Sense gemäht und dann als Heu bis 1935 in einem alten Schuppen eingelagert. 1935 hat mein Vater dann eine neue Scheune gebaut. Natürlich hat uns die Betreuung unserer Tiere sehr viel Arbeit gemacht, aber es hat sich gelohnt. Einmal im Jahr wurde ein Schwein geschlachtet und natürlich gab es immer mal wieder ein Huhn oder gar eine Gans und immer frische Eier.
Hardi, wie waren denn die Möglichkeiten der ärztlichen Betreuung?
Wir hatten einen ganz hervorragenden Arzt, an den ich mich noch ganz lebendig erinnern kann. Er kam von Altenberg, hat unsere Familie immer betreut und stand uns Tag und Nacht zur Verfügung. Ich weiß noch, dass mein Vater aus dem Ersten Weltkrieg einen Herzfehler mitgebracht hat und bei unserem Familiendoktor immer in guten Händen war. Ich selbst hatte mal eine Mittelohrvereiterung, da kam unser Doktor mit dem Auto, was ja damals noch eine Seltenheit war und hat mich bestens behandelt. Er brachte immer eine Schachtel mit zugerissenem Zeitungspapier mit, um die Eier von unseren Hühnern unbeschadet nach Hause zu bringen. Zur Weihnachtszeit kaufte er von uns eine Gans. Natürlich stand er meiner Mutter auch bei den Geburten von uns Kindern zur Seite. In diesen Fällen stand ihm immer eine Hebamme zur Seite. Besonders die Geburt von uns Zwillingen war für unsere Mutter nicht einfach. Meine Schwester ist früh um 9:00 Uhr auf die Welt gekommen und ich um 15:00 Uhr Nachmittags und das alles unter den räumlich sehr bescheidenen Verhältnissen der alten Mühlwohnung. Ich kann sagen, unser Doktor gehörte schon ein bisschen zu unserer Familie.
Hardi, wie hast du deine Jugend in der Mühle in Erinnerung, hattest du Freunde, wo hast du die Schule besucht und wie war dein Schulweg-besonders im Winter?
Der Schulweg war eine halbe Stunde, von hier bis zur Schule in Seyde. Wir nannten den Weg immer Schulweg. In Wirklichkeit war es der Stempelsternweg. Die erste Hälfte ging durch den Wald und wenn es im Winter schneite oder stöberte war es ziemlich ruhig. Sowie wir jedoch auf der Höhe aus dem Wald herauskamen, da kam der Wind meistens von Westen und stach uns wie mit Nadeln ins Gesicht. Da haben wir die Hände vors Gesicht gehalten bis wir endlich die Schule erreichten. Der Weg wurde natürlich nicht geräumt und ich musste mit meiner Schwester manches Mal bis zum Bauch im tiefen Schnee waten. Wir bekamen allerdings schon sehr früh Schneeschuhe, mit denen der Schulweg leichter wurde. Ich weiß noch wie wir sehr oft an die Finger gefroren haben. Wir waren vier Schuljahre in einer Klasse. Erstes bis viertes und fünftes bis achtes. Das war eine große beachtliche Leistung für den Lehrer. Früh war die große Klasse, also fünftes bis achtes Schuljahr und die kleine Klasse hatte meistens ab 1:00 Uhr nachmittags Schule. Die Disziplin war meistens in Ordnung. Es gab den Rohrstock noch, ich habe ihn aber glücklicherweise nicht spüren müssen. Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern. Auch zu Hause habe ich Prügel nicht kennen gelernt. Natürlich gab es mal einen mütterlichen Klaps. Allerdings erinnere ich mich noch an eine väterliche Ohrfeige. Ich hatte in Gegenwart eines Kunden meines Vaters Bemerkung mit den Worten „ Ach Quatsch „ kommentiert. Das hatte mein Vater nie von mir gehört - da war er entrüstet. Schulfreunde, mit denen ich hätte spielen können oder die gar zum Geburtstag zu Gast waren, hatte ich nicht. Manchmal passierte es sonntags, dass 2-3 Kinder bei uns vorbeikamen. Wir Kinder spielten dann gemeinsam im Freien z.B. Völkerball. Aber regelmäßige Kontakte zu anderen Kindern gab es außerhalb der Schulzeit kaum.
Hardi, wir haben ja bei verschiedenen Gelegenheiten immer mal wieder hören können, wie gut du Horn oder Posaune bläst. Wer hat dein musikalisches Talent entdeckt und gefördert?
Also da gibt es ganz wunderschöne Bilder. Mein Vater hat, ich glaube von 1919 an, mindestens 20 Jahre in Rehefeld in der Friedhofskapelle das Harmonium gespielt. Das war zwar eine Friedhofskapelle, die die Königin Carola der Gemeinde gestiftet hatte, aber dort fanden ja auch alle anderen kirchlichen Amtshandlungen statt wie zum Beispiel Taufen, Konfirmation, Hochzeiten und vor allen Dingen eben die Gottesdienste. Wir waren eigentlich nur mit Rehefeld verbunden durch die ca. aller drei Wochen stattfindenden Gottesdienste. Mein Vater spielt das Harmonium und ich saß daneben auf einer kleinen Bank. Das ist Nummer eins, das zweite ist, dass wir natürlich auch daheim viel gesungen haben, vor allem in der Winterzeit. Wir haben auch miteinander für die Festgottesdienste, Erntedank und Kirchweih, für Weihnachten, Silvester, Ostern und Pfingsten mit meinem Vater besondere Stücke eingeübt. Manchmal waren auch ein paar junge Frauen oder Mädels von Rehefeld aus der Verwandtschaft bei uns und dann haben wir eine Singstunde abgehalten und später bei den oben genannten Anlässen vorgetragen. Wir haben auch zu Hause viel musiziert. Mein Vater hat sich ein Harmonium anschaffen können, es gab auch ein Klavier. Und jetzt kommt aber noch etwas. Da war mal in Schellerhau ein Oberlehrer Wünscher und zwar war das ein Oberlehrer von der Scharnhorst – Heimschule in Dresden. Die hatten in Schellerhau ein Ferienheim. Und immer wenn der Herr Oberlehrer in Schellerhau war kam er öfter zu meinem Vater und bestellte irgendwelche Bretter oder Balken. Diesen Oberlehrer sehe ich heute noch, er kam mit seinen Jungs hier an, die tobten auf den Bretterstapeln herum - das sah mein Vater gar nicht gern. Ich war damals sechs Jahre alt und wir hatten zum Schuleingang ein Buch geschenkt bekommen und zwar der Zuckertütenbaum - ein wunderschön illustriertes Buch und da war ein Blatt drin mit ein paar Noten und die Verse für jedes Bild konnten gesungen werden. Ich habe auf dem Klavier zweistimmig gespielt und dazu gesungen und dabei gar nicht gemerkt, dass im Hausflur der Wünscher mit meinem Vater stand. Und da hat der Herr Wünscher zu meinem Vater gesagt, wer singt denn da so schön? Herr Herklotz, ihr Sohn muss auf die Kreuzschule waren seine Worte und er kann bei uns wohnen. Die Kreuzschule ist gar nicht so weit weg. Und da hat mein Vater gesagt: er soll doch aber die Mühle übernehmen. 1937 am Kirchweihmontag habe ich wieder bei meinem Vater am Harmonium auf meiner Bank gesessen und da kam ein Pfarrer aus Frauenstein, Hans Prem, als Vertretung für unseren Hermsdorfer Pfarrer. Und jetzt kommt das entscheidende, der Hans Prem hatte eine Trompete mitgebracht und mitten in der Predigt an einer bestimmten Stelle nahm er die Trompete und blies ein Loblied. Das hat mich so begeistert, dass ich auf dem Heimweg zu meinen Eltern gesagt habe, Mama und Papa ich wünsche mir zu Weihnachten eine Trompete und die habe ich bekommen. In Hermsdorf gab es einen sehr bekannten Mann, ein Tischlermeister Hennig, mit dem mein Vater in Geschäftsverbindung war. Er hatte in Hermsdorf eine Tischlerei. Mit ihm hat mein Vater verhandelt, ob er mir nicht ein bisschen das Blasen beibringen könnte. Er hat mir einiges beigebracht und immer ein paar Stücken aufgegeben die ich zu Hause üben musste. Und als ich in Hermsdorf schon in die Konfirmandenstunde ging, habe ich immer mal wieder vorgespielt. Das war der Anfang und als ich 1947 aus der Kriegsgefangenschaft gekommen bin, hat mich ein Hermsdorfer Stellmachermeister, der Herbert Dietrich, nach einem Gottesdienst angesprochen und um einen Besuch gebeten, damit wir mal gemeinsam blasen können. Seit 1935 bestand in Hermsdorf schon ein Posaunenchor, dessen Mitglieder aber fast alle im Krieg geblieben sind. Und da bin ich jede Woche einmal am Abend mit dem Horn und der Aktentasche nach Hermsdorf gelaufen, auch im Winter, und habe mit dem Herrn Dietrich geblasen. Und 1948 oder war es 1949 haben wir beide, der Herr Dietrich und ich, zum Johannistag, das ist der 24. Juni, auf dem Friedhof, zum ersten Mal zu zweit, öffentlich geblasen. Und als wir geblasen hatten und die Andacht zu Ende war, kamen zwei Jungs auf uns zu und fragten, ob sie nicht auch mal mit blasen dürften. Und da hat der Herr Dietrich gesagt, kommt mal mit in meine Werkstatt und dort ging er auf den Boden, holte zwei Zugposaunen von dem früheren Posaunenchor, gab jedem Jungen eine Posaune und brachte ihnen die ersten Töne bei. Und das war die Geburtsstunde für unseren Posaunenchor, der heute noch existiert.
Hardi, konnte der Müller seine Familie mit dem Mühlenertrag bis 1945 ausreichend ernähren, war auch noch etwas übrig für kleinere Investitionen und gab es genügend Aufträge?
Ja das kann ich sagen. Wir haben schlicht und einfach gelebt. Urlaub gab es keinen, daran hat mein Vater nie gedacht. Er fühlte sich hier in seiner Mühle sehr wohl und wir waren alle mit eingespannt in der Landwirtschaft, bei der Heuernte, bei der Kartoffelernte. Das waren große Festtage, wenn wir hier gemeinsam beim Kartoffelhacken waren. Oder wenn wir in der Heuernte waren und kamen von unserem Eigentumsfeld in Rehefeld mit unserem hoch beladenen Heuwagen zurück in die Mühle. Wir sind immer satt geworden aber dafür mussten alle etwas tun. Ein reicher Mann konnte ein Holzmüller nicht werden. Mein Vater musste ja auch ständig um neue Aufträge bemüht sein. Natürlich gab es da auch mal Sonnenstunden. Da kam eines Tages ein Herr Gellner. Er war Besitzer einer großen Dresdner Möbelfabrik. Er kaufte hier im Forst Hermsdorf und Rehefeld viel Holz und suchte nun jemanden, der es ihm einschneiden konnte und kam dabei auf meinen Vater zu. Mein Vater hat den Auftrag natürlich sofort angenommen und hatte dann wochenlang mit diesem Auftrag zu tun. Da standen dann im Hof vier große Stapel, weil das Holz natürlich auch gleich noch getrocknet werden sollte. Der Herr Gellner war natürlich glücklich, dass das Tischlerholz gleich hier getrocknet werden konnte, sparte er sich doch viel Arbeit und Lagerplatz. Das Stapeln selbst war natürlich auch eine Kunst verbunden mit viel Arbeit. Die Stapel waren mindestens 4 m hoch und etwa ebenso breit. Es stand immer einer oben, der die Stapelhölzer legte. Das musste ganz exakt geschehen, damit die Bretter auch während des Trocknens absolut gerade liegen konnten. Solche Aufträge waren natürlich immer etwas Besonderes. Übrigens hat uns Herr Gellner bis 1945 die Treue gehalten. Das letzte für ihn geschnittene Holz ist leider nicht bei ihm gelandet, sondern von den Russen beschlagnahmt worden. Natürlich hat mein Vater auch kleine Lohnschnittposten gern angenommen. Das waren meistens Einzelbauern aus der Umgebung oder zum Beispiel auch Kirchgemeinden, die mal für diese oder jene Arbeit Holz brauchten. Natürlich hat er auch Baubetriebe beliefert, zum Beispiel in Neuhermsdorf. Er hat für einige der dort stehenden schönen Häuser das Holz zugeschnitten und geliefert. Da kam der Baumeister von Hermsdorf, der Herr Liebscher, mit einer großen Papierrolle auf der die einzelnen Zuschnitte festgehalten worden. Wenn Herr Liebscher mit seinem Auto in der Mühle vorfuhr, freute sich mein Vater, weil ein neuer Auftrag winkte. Solche Aufträge waren natürlich sehr anspruchsvolle, weil alles für einen Hausbau benötigte Holz, also Deckenbalken, das Holz für den Dachstuhl, die Dachschalung, die Treppenwangen, Beschlagbretter für die Außenfassaden (Schindeln gab es damals noch nicht) und alles andere zu schneiden war. Dieses Holz wurde nach dem Einschneiden ebenfalls gestapelt und stand dann auf Abruf bereit. Wir hatten damals schon ein Telefon, mit dem der Baumeister das Holz bei uns zur Anlieferung bestellte. Dieses Holz haben wir dann verladen und mit unseren eigenen Zugkühen vor Ort gebracht. Das war für uns Kinder immer ein besonderes Erlebnis, weil wir oft mitfahren durften.
Hardi, hast du in deiner Kindheit und Jugend mit deinen Eltern einmal Ferien erleben können?
Ja, also lange zusammenhängende Ferien über eine Woche oder länger haben wir nie erlebt. Es war aber für uns etwas ganz besonderes, wenn wir mal für 2-3 Tage in den Herbstferien anlässlich einer Holzlieferung nach Dresden fuhren. Das konnten wir natürlich nicht mit unseren Zugkühen erledigen, sondern dafür wurde ein Lastwagen bestellt. Meine Mutter und wir Zwillinge durften dann im Lastwagen mit nach Dresden fahren. Dort wohnte auf der Neuländerstraße auf dem Wilden Mann die Schwester meiner Mutter, also meine Tante. Die hatten dort einen wunderschönen Garten und da haben wir uns mal zwei höchstens drei Tage aufhalten können und das war immer sehr schön. Die Heimfahrt erfolgt dann mit Straßenbahn und Bus. Das war unser einziger "Urlaub" der sich allerdings über viele Jahre wiederholte und auf den wir uns schon immer das ganze Jahr über gefreut haben.
Hardi, wie habt ihr in der Mühle den Zweiten Weltkrieg erlebt?
Wir hatten reichliche Aufträge, die vorwiegend von einer bilanzierenden staatlichen Stelle erteilt wurden. Da gab es zum Beispiel eine Firma, die in Dresden Baracken baute und von uns beliefert werden musste. Natürlich gab es auch noch Aufträge von privaten Leuten, die wir in den meisten Fällen annehmen und erledigen konnten. Es gab aber auch Aufträge von Kirchgemeinden, die ihr Holz brachten zum Schneiden, also als Lohnschnitt. Allerdings gab es auch eine andere sehr große Schwierigkeit für uns. Wie wir erst später erfahren konnten, wurde mein Vater vom Ortsgruppenleiter angezeigt. Der Gendarm von Bärenfels, so nannten wir den früher, kam zu meinem Vater und hat ihm unterbreitet: „es liegt was gegen sie vor“. Mein Vater stand draußen auf dem Hof und wurde kreideweiß, weil er gar nicht wusste, was ist das jetzt. Zum Glück war gerade ein Gast bei uns, der im sächsischen Ministerium und zwar im Wasserbauamt arbeitete. Er sagte zu meinem Vater, machen Sie sich keine Sorgen, ich werde sofort, wenn ich nach Hause komme, bei der Landesregierung vorsprechen in Ihrem Fall. Eines Tages kam ein Brief von dem Gast, in dem er mitteilte, dass mein Vater doch ein Gesuch einreichen soll, damit die im Raum stehenden Dinge aufgehoben werden. Das Gesuch hat mein Vater sofort eingereicht und nach einer geraumen Zeit kam die Antwort und zwar von der Landesregierung Sachsen zu Händen des Herrn Landrats von Dippoldiswalde zur Weiterleitung an meinen Vater, den Gesuchsteller Robert Bernhard Herklotz in Seyde. In dem Schreiben stand, die Urfassung haben wir noch vorliegen, dem Gesuch kann und nun wurden unzählige Paragraphen und Verordnungen aufgezählt, nicht stattgegeben werden aufgrund politischer Unzuverlässigkeit. Und das war in der damaligen Zeit eine große Belastung, die meinem Vater bis zum Kriegsende schwer zu schaffen machte. Mein Vater gehörte zur bekennenden Kirche, ich nenne nur einen Namen - Martin Niemöller. Mein Vater hat uns auch nicht zu den damaligen Jugendorganisationen, sprich Jungvolk und Hitlerjugend, gehen lassen und das war insbesondere dem Ortsgruppenleiter ein Dorn im Auge. Übrigens sollte dieses o.g. Schreiben von der Landesregierung für uns noch eine große Rolle spielen. Wirtschaftlich hat meine Familie den Zweiten Weltkrieg nicht zuletzt durch unsere eigene Landwirtschaft unbeschadet überstanden. Ich selbst wurde 1943 in ein Wehrertüchtigungslager in der Nähe von Pilsen für 3 Wochen eingezogen. Das war eine schlimme Zeit, in der ich zehn Pfund abgenommen habe. Im zeitigen Herbst 1944 wurde ich dann zum Arbeitsdienst einberufen und am 6. Januar 1945 zur Wehrmacht. Ich habe also das Kriegsende nicht in der Mühle erlebt. Im April 1945, also mit 17 1/2 Jahren, bin ich in der Nähe von Hannover in englische Kriegsgefangenschaft geraten. Von da aus ging es nach Belgien, in die Nähe von Ostende, in ein großes englisches Lager. Da waren damals 18.000 Kriegsgefangene. Im August 1945 kam ich in das Grubenlager Waterschei in Limburg und habe dort zwei volle Jahre in der Steinkohlengrube als Kohlenhauer arbeiten müssen.
Hardi, welche Erinnerungen hast du an 1945, Kriegsende und Neuanfang?
Alles was ich dazu sagen kann, habe ich aus Erzählungen meiner Eltern und Geschwister. Ich gebe es also nur weiter. Es war so, dass hier zum Kriegsende in den Wäldern SS-Leute, der Arbeitsdienst, Männer von der Organisation Todt und Heimkehrer, die, vorwiegend aus Richtung Tschechei kommend, versucht haben sich durchzuschlagen. Unsere Mühle liegt ja nun mitten im Wald, so dass also auch viele Landser gekommen sind und um Zivilsachen baten. Auch meine Sachen hat meine Mutter so weit es ging abgegeben, weil sie sich gesagt hat, wer weiß ob nicht mein Sohn auch irgendwo Hilfe braucht. Meine Eltern wussten ja nicht, wo ich war. Und die Soldaten haben ihre alten Sachen in unserer alten Kammer bzw. auch in der späteren Kistenstube beim Umziehen abgelegt, da waren dann eben auch Hakenkreuze zu finden. An der alten Zinnbrücke wurde einen Tag nach Kriegsende ein russischer Geländewagen mit Offizieren in die Luft gesprengt. Bei der Durchsuchung der Umgebung haben die Russen in unserer Mühle unter anderem auch die Uniformen gefunden und waren dadurch zu der Meinung gekommen, dass der Anschlag von hier ausgegangen ist. Da kamen Leute aus Seyde, die zu meinem Vater sagten, steht das ihr fortkommt, eure Mühle soll gesprengt werden. Daraufhin hat mein Vater in aller Eile den Leiterwagen herausgeholt, die Kühe angespannt, ein paar Betten und das Nötigste drauf geladen und dann Richtung Altenberg in ein Waldstück geflüchtet. Dort hat mein Vater ein provisorisches Dach gebaut und mit meiner Mutter und meinen Geschwistern einige Wochen verbracht. Ab und zu ist mein Vater durch den Wald zur Mühle gelaufen, um zu sehen, ob sie noch steht. Es hat sich also viel Schlimmes hier abgespielt, was ich jetzt im Einzelnen gar nicht alles nennen kann. Eines Tages tauchte hier in Seyde eine Truppe in Lederjacken auf, das waren alles russische Ingenieure, die die Aufgabe hatten, überall in den Betrieben Maschinen sicherzustellen und auszubauen zum Abtransport. Die kamen als auch zur Mühle als mein Vater wieder hier war und sagten: „Du Kapitalist“ und fingen an in der Mühle das Sägegatter abzubauen. Sofort ist mein Vater mit dem Fahrrad durch den Wald zum russischen Kommandanten gefahren und hat dort das vorn genannte Schreiben, das er damals von der Landesregierung bekommen hatte, wegen politischer Unzuverlässigkeit, vorgelegt. Mit einem Dolmetscher konnte er die gesamte Situation, die sich für meinen Vater aufgetan hat, darlegen. Dann hat er einen DIN A4 Bogen mit russischem Text und einem Stempel und Unterschrift Kommandant erhalten. Wir haben den Text übersetzen lassen: „Requirierung ohne meine persönliche Erlaubnis ist verboten – Kommandant“. Mit diesem Schreiben ist mein Vater schleunigst zurück in die Mühle gefahren und hat es dem Leiter der Truppe vors Gesicht gehalten. Der hat es gelesen, war ganz erstaunt und hat seinen Leuten befohlen sofort alles stehen und liegen zu lassen und die Mühle zu verlassen.
Hardi, welcher beruflichen Tätigkeit bist du bis 1957 nachgegangen und wie hast du das Sägemüller Handwerk erlernt?
Ich habe alle Unterlagen herausgesucht, das Arbeitsbuch, den Lehrvertrag usw., das kannst du dir ja später alles einmal anschauen. Ich habe bis 1942 die Volksschule besucht und bin dann bis 1944 also zwei Jahre in die Handelsvollschule nach Dippoldiswalde gegangen und zwar mit dem Abschluss der mittleren Reife. Mein Vater wollte, dass ich mal die Mühle übernehme und daher fand er es wichtig, dass ich in der Handelsschule die ganzen kaufmännischen Grundlagen lernte. Und dann habe ich im April 1944 meinen ersten Lehrvertrag, mit meinem Vater als Lehrmeister, zur Ausbildung als Sägewerker abgeschlossen. Leider musste ich die Lehre schon im September 1944 wegen der Einberufung unterbrechen. Nach meiner Rückkehr aus der Gefangenschaft konnte ich die Lehre 1947 wieder aufnehmen und habe dann im März 1950 die Lehre als Sägewerker abgeschlossen. Im Übrigen habe ich während meiner gesamten Lehrzeit keine Berufsschule besuchen können, weil es für Sägewerker keine Fachklasse gab. Das notwendige theoretische Wissen habe ich mir also gewissermaßen durch Studien von Büchern und anderen Unterlagen und mithilfe meines Vaters selbst aneignen müssen. Als ausgebildeter Sägewerker habe ich dann bei meinem Vater arbeiten können bis die Zeit kam um den 17. Juni 1953, wo meinem Vater mitgeteilt wurde, dass er kein Holz mehr bekommt, weil die kleinen Privatbetriebe auf dem Index standen. Übrigens bekam mein Vater ab dem gleichen Zeitraum für sich und seine Frau auch keine Lebensmittelkarten mehr. Es war also ein deutliches Zeichen dafür, wie kleine Unternehmer in die Enge getrieben wurden. Damals stand mein Vater zwei Jahre vor der Rente und kam dann mal auf mich zu und sagte: weißt du was, wir haben ein bisschen Landwirtschaft und kommen durch, aber für dich wird es schwierig. Ich war damals schon im kirchlichen Dienst insbesondere an Abenden und an Wochenenden. Ich habe damals im Posaunenchor geblasen und den Kirchenchor geleitet und die junge Gemeinde betreut usw., es waren also viele kirchliche, natürlich ehrenamtliche Tätigkeiten, durch die mein Vater merkte, dass ich da sehr engagiert war. Er sagte also, du hast viel Freude an der kirchlichen Arbeit und das beste wäre es, wenn du dich auf diesem Gebiet richtig ausbilden lässt, damit du einen weiteren richtigen Beruf hast, mit dem du durchs Leben kommst. Daraufhin habe ich in Moritzburg ab Oktober 1953 einen neun Monate dauernden Lehrgang besucht und wurde dadurch ausgebildeter Diakon. Diese kurze Ausbildungszeit wurde deshalb möglich, weil ich schon vorher sehr aktiv tätig war. Zum Beispiel habe ich schon lange vor 1953 in Krummhennersdorf einen sechswöchigen Kursus als Katechet besucht und dann 1951 in Moritzburg einen Aufbaulehrgang für den katechetischen Dienst. 1954 bin ich dann hauptamtlich in den kirchlichen Dienst gegangen und zwar zunächst in Hermsdorf und dann in Liebenau als Kantor Diakon. 1957 hatte ich 14 Tage Urlaub und weil mein Vater zwischenzeitlich wieder Holz sägen durfte, wollte ich ihm in diesen 14 Tagen gerne helfen. Da bin ich damals also mit meiner Familie, ich war zwischenzeitlich verheiratet und hatte ein Kind, von Liebenau in die Mühle gezogen und habe meinem Vater beim Holzablängen und Abfahren geholfen. Dabei habe ich mit den Kühen im Becherbachtal Holz gerückt. Dort hatte mein Vater einen Schlag gekauft, so nennt man das, wenn alle Bäume gefällt wurden. Da lagen die Stämme also kreuz und quer und mussten zum Abtransport bereit gelegt werden. Eines Morgens, es war der 19. Juli, sind wir mit dem Kuhfuhrwerk in den Wald gefahren, mein Vater kam hinterher. Ich habe umgelenkt, habe den Wagen zum Aufladen bereitgestellt und mein Vater hat mit der Mutter mit der Handsäge von unten angefangen Stämme auf Länge zu schneiden. Die Abschnitte, die mein Vater mit meiner Mutter zurecht gesägt hatte, habe ich angehängt mit einer Kette und zum Ladeplatz mit den Kühen gezogen. Auf einmal donnerte es und es kam vom Hang ein Stamm angerollt und ich sehe bloß noch wie jemand beiseite sprang. Ich habe die Kühe stehen lassen und bin schnell hoch gerannt. Meine Mutter hatte sich zwischen die Stämme geworfen, mein Vater war ein Stück weiter oben, er lag in den letzten Zügen und starb kurze Zeit später. Ich habe mit meinem Vater nicht mehr sprechen können. Vermutlich wollte er den Stamm anhalten, damit meiner Mutter nichts passiert, oder ist er, weil er mit dem Rücken zum Stamm stand, zu spät weg gesprungen und dabei überrollt worden. Ich hatte meinem Vater immer versprochen, auch als ich nach Moritzburg ging, wenn du mich irgendwie aber mal brauchst, bin ich da. Das habe ich in die Tat umgesetzt und noch am gleichen Tag in Liebenau gekündigt. Vom Pfarrer aus musste ich noch sechs Wochen Dienst und zwar sonntags und am Abend tun und bin am 6. Oktober 1957 wieder in die Mühle gezogen und habe die Mühle mit Pachtvertrag von der Erbengemeinschaft übernommen. Ich habe den Pachtvertrag im guten Glauben unterschrieben und war eigentlich dankbar, dass ich nun auch meine Mutter unterstützen konnte. Schließlich habe ich die Mühle bis 1992 betrieben.
Hardi, mit wie vielen Leuten hast du die Mühle betrieben?
Ich habe also alleine hier angefangen ohne jeden Helfer. Es war dann schon im November 1957, da kam ein alter Rentner, ein früherer Waldarbeiter, der Wagner Paul von Seyde und bot mir seine Hilfe an. Er hat dann stundenweise viele Jahre bei mir gearbeitet und war mir eine große Hilfe. In den folgenden Jahren kamen immer wieder mal Rentner zu mir so dass wir manchmal 3-4 Leute waren. Später kam mein Cousin aus Rehefeld, der auch sehr interessiert war und gern geholfen hat. Etwas später kam einer, der war aus dem siebten Schuljahr entlassen worden, er hatte also keinen Abschluss, bekam deshalb auch schwer eine Lehrstelle und wurde von mir zum Anlernen eingestellt. Er wurde mir schließlich zu einem tüchtigen und zuverlässigen Helfer. Ich bekam ja jedes Jahr Staatsplanauflagen, die bis zum Jahresende zu erfüllen waren, weil sie andernfalls natürlich verfielen, was meine Kunden natürlich sehr geärgert hätte. Das ist aber bei mir nie vorgekommen. Weil es immer schwieriger wurde Leute zu bekommen habe ich mir ab 1978 keine Staatsplanaufgaben mehr geben lassen und musste fortan ohne Angestellte auskommen. Ich habe dann nur noch Lohnschnitte ausgeführt, weil da die Holzbesitzer verpflichtet waren, mit zu arbeiten.
Hardi, bitte lass uns wissen, wer deine hauptsächlichen Kunden waren und welche Art von Arbeiten jeweils anstanden!
Ich wurde also von staatlichen Stellen, das war damals eine VVB in Cottbus, als bilanzierende Stelle eingewiesen, einmal die Rundholzzuteilung, die der staatliche Forstbetrieb (meistens Dippoldiswalde – Oberförsterei Bärenfels) bekam und mir zu liefern hatte, es handelt sich da um ca. 1500 Festmeter Rundholz. Außerdem wurden bei mir Baubetriebe eingewiesen. Das waren private und später halbstaatliche Betriebe, wie zum Beispiel Hochbau Hermsdorf, aber auch kleinere Baubetriebe, die über Einweisungen für meist kleinere Mengen für Baustellen verfügten. Einen größeren Posten hatte ich zu liefern an die ELG (Einkaufs und Liefergenossenschaft des holzverarbeitenden Handwerks in Dippoldiswalde), dort waren ja sämtliche Stellmacher Tischler usw. als Mitglied eingetragen. Hier handelte es sich um eine größere Menge (ca.40 m³) Schnittholz. Diese Menge wurde auf die einzelnen Tischler aufgeteilt und jeder Tischler kam dann zu mir mit seinen einzelnen Aufträgen. Natürlich hatte ich auch einzelne größere Aufträge z.B. war in Dresden auf der Konradstraße ein holzverarbeitender VEB Betrieb, der nur Fenster und Türen herstellte. Dorthin habe ich mindestens fünf bis sechsmal im Jahr große LKWs mit Holz geliefert. Natürlich gab es auch einzelne Kunden, also Privatpersonen, die eine Zuteilung bekommen haben z.B. für Dachstuhlreparaturen oder einen Garagenbau usw.
Welche Maschinen hast du von deinem Vater übernommen, wie hast du den Maschinenpark erweitert und verändert und welche baulichen Maßnahmen waren dazu erforderlich?
Da war zunächst das 1942 erbaute Sägegatter, dann gab es eine Einfachkreissäge mit Schlitten und eine Hobelmaschine, sowie die Spundmaschine. Dazu kam die Sägenschärfmaschine und es stand auch noch das Einfachsägegatter, dass ich leider abbauen musste, um für den geplanten Doppelsäumer Platz zu schaffen sowie ein Gleichstromgenerator. Das waren eigentlich schon alle Maschinen, die ich von meinem Vater übernommen habe.
Erst 1962 bekam ich Strom in die Mühle. Am 5. August 1962 konnte zum ersten Mal die elektrische Beleuchtung in Betrieb genommen werden. Und nun konnte ich an eine Maschinenerweiterung bzw. Modernisierung denken. Als erstes habe ich mir damals einen Hilfsmotor eingebaut, um bei wenig Wasser das Sägen zu ermöglichen. Es gab ja immer wieder Jahre, in denen das Wasser sehr knapp war. Allerdings habe ich immer das Gatter mit Wasser angelassen und nur wenn nötig Strom zugeschaltet, weil ich natürlich wusste, dass Wasser die billigste Kraft war.
Als nächstes wurde das Gatter modernisiert. Dazu konnte ich einen Monteur aus der Herstellerfirma in Aue gewinnen. Er hatte sich in der Zwischenzeit selbstständig gemacht. Durch ihn wurde eine Hydraulikanlage installiert. Damit konnte das bis dahin sehr aufwändige Heben und Senken der Walzen ermöglicht werden. Die bis dahin diesem Zweck dienende Mechanik, die mit Gewichten funktionierte, ging dauernd kaputt. Diese hydraulische Einrichtung war mir in all den Jahren eine sehr große Hilfe und Erleichterung.
Eine weitere große Arbeit war die vollkommene Erneuerung der Schienenanlage für den Holztransport. Da wurde beispielsweise das ständig aufgeweichte Schienenbett ausgebaggert und mit vielen Fuhren Schotter ausgefüllt. Von der Firma Worsch in Liebenau wurden die nötigen Schienenverbindungen geliefert. In diesem Zuge wurden auch Eisenbahnschienen herbeigeschafft, um den Lagerplatz für die Stämme und auch für das fertige Schnittholz zu bauen. Früher waren das nur Holzbalken, die sich ständig verdrehten und kaputt gingen und das Rollen der Stämme erschwerten. Die Betonklötze, auf denen dann die Schienen abgelegt wurden, habe ich in einer selbst gebauten Schalung Stück für Stück selbst hergestellt. Aus dem Kalkwerk in Herrndorf konnte ich mir eine Drehscheibe besorgen, die ich dann in der Mühle eingebaut habe. Allerdings hatte die Scheibe eine andere Spurweite, deshalb habe ich mir aus dem Kalkwerk Hermsdorf Hunte mit der gleichen Spurweite beschafft. Auf dem Hof habe ich eine zweite Drehscheibe eingebaut und konnte dadurch mein Schnittholz bis zum LKW- Ladeplatz vor der Scheune transportieren - eine große Erleichterung.
1972 wurde der Doppelsäumer eingebaut. Danach wurden die Hobel-und Spundmaschinen in die Hobelhalle (die mein Vater bereits 1952 gebaut hatte) umgesetzt, weil ich diese beiden Maschinen elektrifiziert habe. Dadurch brauchte ich nicht mehr den Zugang zur Transmission - sie standen ja neben dem Gatter und nahmen dort viel Platz weg. In die Hobelhalle habe ich dann auch die Pendelsäge eingebaut. Sie wurde insbesondere zum Auspendeln der Randware benötigt und leistete später bei der Schindelproduktion gute Dienste. Randware waren also die Enden der Bretter, die konisch zuliefen und noch mit Rinde behaftet waren. Diese Enden wurden auf der Entrindungsmaschine entrindet und auf 1 m Länge gebracht und mussten dann für die Zellstoffproduktion abgeliefert werden. Die abzuliefernde Menge wurde uns im Verhältnis zur Rundholzmenge genau vorgegeben.
Schließlich wurde auch die Sägenschärfmaschine, die bis dahin an der Transmission hing, elektrifiziert. 1968 wurde das neue Wasserrad eingebaut. Bei dieser Gelegenheit wurde die ganze Radkammer aus Beton neu gebaut. Bei dieser Gelegenheit wurden auf die Betonplatte der Radkammer ein Aufenthaltsraum und die Schärfstube gebaut.
Ebenfalls vollkommen erneuert wurde aufgrund einer Forderung des Arbeitsschutzes die gesamte Beleuchtungsanlage. Auch das Eingangstor musste erhöht, also erneuert werden, weil es bis dahin nur 1,66 m lichte Höhe hatte.
Hardi, wann hast du geheiratet und wie hat sich deine Familie entwickelt?
Dazu möchte ich nicht viel erzählen. Ich habe 1955 im Dezember geheiratet. 1956 im Dezember wurde mein Sohn Christfried geboren, im Januar 1958 mein Sohn Matthias, im November 1959 meine Tochter Christiane und im April 1968 meine Tochter Andrea. 1969 wurde ich geschieden und am 17. Januar 1970 habe ich meine jetzige Frau Inge geheiratet, die mich zusammen mit meinen drei halbwüchsigen Kindern, einem großen Haushalt und nicht wenig Arbeit in der Mühle genommen hat - ein mutiger Schritt. Das ist nun auch schon wieder 42 Jahre her. Im Februar 1972 kam meine Tochter Marit zur Welt.
Hardi, hast du außer Brettern und Balken noch andere Dinge produziert?
Das waren zunächst mal Holzkisten, die so genannten Harasse, für die Exportbierbrauerei Radeberg. Da haben wir in all den Jahren tausende solcher Kisten hergestellt. In Vorbereitung dieser Produktion musste ich mir zunächst einmal einige Vorrichtungen einfallen lassen und herstellen. Es mussten also Lehren gebaut werden, in denen die Leisten eingelegt und mit Nägeln befestigt wurden. So entstanden die Stirnwände, der Boden und der Korb, auf denen der Boden genagelt wurde. Auch für das Nageln musste ich mir etwas einfallen lassen, die Nägel waren ja immer etwas länger und mussten deshalb umgebogen werden. Dafür habe ich in die Lehren aus alten Stahlsägeblättern Flächen eingebaut, auf denen sich der Nagel automatisch beim Einschlagen umbog, ein guter Einfall von mir, das muss ich mal so sagen, weil uns damit viel Zeit erspart blieb. Dann wurden die Harasse mittels eines glühenden Brenneisens noch mit dem Namenszug "Radeberger“ versehen. Als letztes mussten die Kisten noch imprägniert werden. Dabei handelte es sich um eine giftige Flüssigkeit, die nicht mit Regenwasser in Berührung kommen durfte. Aus diesem Grunde habe ich noch die große Überdachung neben der Hobelhalle bauen müssen. Die Kistenproduktion fand vorwiegend in den Wintermonaten statt, weil da Frauen aus der LPG und manchmal auch Waldarbeiter zur Verfügung standen. Natürlich musste ich auch das notwendige Holz auf Vorrat schneiden, damit dann die Kistenproduktion auf vollen Touren laufen konnte.
Eine weitere wichtige Arbeit war die Produktion von Schindeln. Das war ein typisches erzgebirgisches Produkt, mit dem vorwiegend die Giebel der Häuser verkleidet wurden in verschiedenen Mustern. Sie dienten aber nicht nur zur Zierde, sondern waren auch eine hervorragende Wärmedämmung. Für diesen Zweck habe ich bereits im Frühjahr vom Forst das Schindelholz eingekauft. Das Holz war 2 m lang, nannte sich Schichtnutzderbholz. Dieses Sortiment bekam ich vom Forst sehr preiswert, ich hatte aber beim Forst darum gebeten, kein Holz zu liefern, was sozusagen älteres Holz ist, in dem Durchfalläste oder schwarze Äste waren, sondern möglichst junges aus der Durchforstung. Aus diesem Holz habe ich dann die 9,5cm dicken Bohlen geschnitten. Davon habe ich dann drei Stück übereinander auf das Gatter genommen und die 23 mm starken Schindelbretter geschnitten. Diese Bretter wurden dann im Frühjahr eingestapelt, und weil sie nicht besonders dick waren, trockneten sie schnell. Im September-Oktober, bevor das Wetter schlecht wurde habe ich die ganze Mühle mit diesen getrockneten Brettern voll gestapelt, so dass ich dann im Winter ganz alleine diese Schindeln produzieren konnte. Es wurde zunächst einseitig gehobelt, dann wurde genutet und gespundet mit dieser Keilnut und dem Keilspund, dann wurde die andere Seite gehobelt und schließlich auf der Pendelsäge die Schindeln auf die Länge von 50 cm gebracht. Es gab auch Ausnahmelängen, zum Beispiel für das Schwesternheim in Bärenfels 60 cm. An der Pendelsäge hatte ich mir eine Einrichtung bauen lassen, die aller 50 cm einrastete und damit ohne zu messen gesägt werden konnte. Ich habe dann immer 15 Bretter nebeneinander gelegt und mit einem Schnitt 15 Schindeln sägen können. Die Schindeln wurden mir aus den Händen gerissen.
Hardi, bitte beschreibe uns einen normalen Arbeitstag in der Mühle.
Also, ich bin immer zeitig aufgestanden, so gegen 6:00 Uhr, habe die Tore aufgemacht, wenn nötig Licht gemacht. Oft habe ich Maschinen, vor allen Dingen das Sägegatter, abgeschmiert, weil dann so gegen 7:00 Uhr die Arbeit begann. Als wir noch Angestellte hatten, also Rentner und Helfer, haben die natürlich bestimmte Dinge auch schon selbstständig gemacht, z.B. das Abschmieren der Hauptlager und anderer beweglicher Teile, die stark beansprucht wurden. Überhaupt war das Abschmieren eine tägliche, manchmal auch öftere Notwendigkeit, nicht nur für die Erhaltung unserer Maschinen, sondern auch zur Vermeidung eines Brandes durch ein heiß gelaufenes Lager. Besonders in der kalten Jahreszeit musste ich früh die Sägen wieder anziehen, weil sie am Abend gelockert wurden, um Frostbrüche zu vermeiden. Ich bin dann nochmal ins Wohnhaus zum Frühstück gegangen. Da gab es meistens Blümchenkaffee und Marmeladenbrot. Dann kamen auch schon die ersten Leute, oft auch schon etwas zeitiger, um zum Beispiel Schnee zu räumen. Als ich keine Leute mehr hatte und allein arbeiten musste und nur noch den Lohnschnitt machen konnte, musste ich früh schon alles vorbereitet haben, weil so etwa gegen sieben Uhr meine Kunden schon mit dem Traktor kamen und es dann natürlich sofort losgehen musste. Am Beginn stand immer eine aktenkundige Belehrung meiner Lohnschnittkunden in Sachen Arbeitsschutz. Es kamen ja nahezu täglich neue Kunden, die auf die Gefahren und den Arbeitsablauf hingewiesen werden mussten. Dann wurde meistens bis Mittag durchgearbeitet. Dann gab es eine halbe bis dreiviertel Stunde Mittagspause und dann ging es weiter. Übrigens hat in all den Jahren meine schon betagte Mutter für unsere Leute immer ein reichhaltiges und schmackhaftes Mittagessen gekocht, eine große Leistung. Als ich noch Leute hatte, haben wir bis gegen 4:30 Uhr gearbeitet und dann hatten sie Feierabend. Ich selbst habe dann am Abend noch viel zu tun gehabt. Es wurden z.B. die Treibriemen nachgespannt, die Sägen geschärft oder das Gatter für den nächsten Tag vorbereitet. Als ich dann eine Motorsäge hatte, musste ich am Abend oft die Kette feilen. Es waren auch immer kleinere Reparaturen notwendig. Als wir Kisten hergestellt haben, habe ich am Abend meistens sehr lange die vielen Leisten vorbereitet, damit der Kistenbau am Morgen sofort beginnen konnte. Denn wenn tagsüber die Frauen in der Kistenstube arbeiteten, hatte ich ja am Gatter zu tun und konnte mich natürlich nicht um die Kisten kümmern. Einige Arbeit bereiteten mir auch die Sägespäne. Diese wurden zwar meistens von Bauern abgeholt, aber das geschah ja nicht regelmäßig, so dass immer wieder Späne beiseite geschaufelt werden mussten, um Platz für neue zu schaffen. Ich selbst habe ja auch Späne gebraucht, z.B. für meinen Späneofen. Meistens bin ich nicht vor 19:00 Uhr zum Abendbrot gekommen und dann hat es auch nicht mehr lange bis zum Schlafengehen gedauert. Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch erwähnen, dass ich mich um die Buchhaltung nicht kümmern musste. Diese wurde von meiner Schwester erledigt, die unverheiratet mit in unserem Hause wohnte und bei mir als Buchhalterin angestellt war. Natürlich musste ich einige schriftliche Zuarbeit leisten, z.B. mit umfangreichen Schnittlisten. So wurde ja von mir auch jeder einzelne Stamm genau vermessen und die Werte schriftlich festgehalten.
Hardi, deine wichtigste Maschine - gewissermaßen das Herz der Mühle – war das Sägegatter. Bitte beschreibe uns, wie das Gatter auf einen neuen Schnittauftrag umgerüstet wurde.
Das wichtigste waren tadellos vorbereitete Sägeblätter. Diese wurden nach einem erledigten Schnittauftrag herausgenommen, geschliffen und geschränkt. Schränken bedeutet, dass jeder Zahn im Wechsel nach links und rechts gewissermaßen vom Blatt weg gebogen wird und zwar um ca. einen halben Millimeter. Dabei wurde jeder einzelne Zahn mit der Messuhr nachgemessen. Mit dem Schränken wird erreicht, dass das Sägeblatt frei schneiden kann, also nicht klemmt. Das war eine ganz wichtige und verantwortungsvolle Arbeit, denn nur ein ordentlich geschränktes Sägeblatt ergab einen geraden und sauberen Schnitt.
Geschliffen wurde das Blatt in der Sägenschärfmaschine, die mein Vater 1935 angeschafft hatte, eingespannt und dann Zahn für Zahn geschärft. Auch diese Arbeit musste ganz gewissenhaft erledigt werden, weil ein schlecht geschärftes Sägeblatt keinen sauberen Schnitt zuließ.
Nun mussten die Sägeblätter dem Schnittauftrag entsprechend im Gatterrahmen ein- gehangen werden. Vor dem Festkeilen der Sägeblätter mussten die Abstände dazwischen mit Distanzklötzchen fixiert werden. Diese Distanzklötzchen lagen in einem Regal und waren zur besseren Unterscheidung farblich gekennzeichnet. Zum Beispiel gab es die schwarzen Klötzchen für ein 25 er Brett. Allerdings ist zu beachten, dass der Schnitt durch die Schränkung immer stärker wurde als die Säge- blattstärke. Das Distanzklötzchen für das 25 er Brett war also z.B. 26 mm breit. Es gab auch noch eine weitere Situation, die mit dem Distanzklötzchen auszugleichen war. Wenn ein Fensterbauer ein 40er Brett bestellte, musste dieses wegen der Schrumpfung beim Trocknen 42,5 mm stark geschnitten werden, so dass also das Klötzchen inklusive Schränkverlust von 2 x 0, 5 mm, 43,50 mm breit sein musste. Es gab weitere Situationen, die es zu berücksichtigen galt, wie z.B. die Holzart, die Einschlagzeit oder die Feuchtigkeit. Nach Einlegen aller Distanzklötzchen - von uns auch Sägelehren genannt - wurden diese fest gespannt, damit sie beim Schneiden nicht herausfallen konnten. Dann wurden die Sägeblätter festgekeilt. Eine Sache für die viel Erfahrung und Gefühl erforderlich war.
Hardi, wie hast du normale Wartungs- und Reparaturarbeiten bewerkstelligt und konntest du Dir dafür auch fremde Hilfe holen?
Also kleinere Reparaturen habe ich natürlich selbst durchgeführt, denn ein Sägemüller musste immer auch ein sehr vielseitiger Handwerker sein. Das Nachstellen der Führungen am Gatter habe ich immer selbst gemacht. Auch wenn irgendwo etwas klapperte musste ich zunächst die Ursache suchen und diese dann abstellen. Auch am Mühlrad habe ich viele Reparaturen selbst machen müssen. Wenn eine Schaufel locker wurde musste ich rein klettern und die Schaufel mit längeren Schrauben wieder befestigen. Noch vor der Gründung des Fördervereins, als ich schon nicht mehr in der Mühle arbeitete, habe ich vieles selbst in die Hand nehmen müssen, z.B. Dachpappe aufbringen und das ganze Mühlendach teeren.
Es war allerdings für mich sehr wichtig, dass ich in all den Jahren immer Leute zur Seite hatte die mir bei besonderen Reparaturen unter die Arme gegriffen haben. Da hatte ich zum Beispiel den Herrn Tiebel in Seifersdorf, das war ein Maschinenbauer, der mir bei der Umrüstung auf Elektroenergie sehr geholfen hat. Bei der Hobelmaschine, der Spundmaschine usw. mussten ja die Flachriemenantriebe von der Transmission auf Keilriemenantriebe für Elektromotoren mit entsprechenden Spannwippen umgestellt werden. Die Firma hat mir auch die Ölleitungen von der Hydraulikanlage zu den Gatterwalzen verlegt. Das war mir eine große Hilfe. Viele Unterstützung bekam ich auch von der Schlosserei der LPG in Seyde. Die haben mir kleine Reparaturen, insbesondere Schweißarbeiten, erledigen können. Auch die Fa. Worsch in Liebenau hat mir oft helfen können. Eine große Rolle spielte auch die Gießerei Ferdinand Kunert in Schmiedeberg. Die haben mir zum Beispiel die Fräser hergestellt für die Schindelherstellung, die ich nirgendwo mehr bekommen konnte, weil diese alten Maschinen ganz andere Abmessungen brauchten. Die Firma hatte einen eigenen Werkzeugbau. Ich war dann sehr froh, als ich auf meinen alten Maschinen wieder Schindeln herstellen konnte. Die Fräser habe ich heute noch. Auch eine Firma in Seyde, die heute gar nicht mehr existiert, Feinmechanik Griesbach, hat mir gut geholfen z.B. beim Bau der Pendelsäge, die ich auch für die Schindelproduktion brauchte. Auch meine Sägenschärfmaschine wurde von dieser Firma repariert. Bei größeren Schäden am Mühlrad hat mir der Mühlenbauer in Mulda geholfen. Er hatte das Wasserrad damals neu gebaut und kannte sich daher bestens aus. Einmal wurde ein neuer Sattel gebraucht. Das Rad war locker geworden. Das war im Winter passiert, als das Rad durch Vereisung an den Seiten bei jeder Umdrehung anschlug und sich dabei lockerte.
Welche Rolle spielte für dich das Wetter, insbesondere im Winter und der Wasserstand im trockenen Sommer oder bei Hochwasser?
Ich kann mich besinnen, dass wir im Winter durchgearbeitet haben, als wir noch Leute hatten und ich noch voll gearbeitet habe. Da wurden als erstes die Schienen und Wege vom Schnee beräumt, da wurden die abgelagerten Stämme und Klötzer ab geschaufelt und abgekehrt, der Weg zum Wohnhaus freigeschaufelt und die Stapelplätze, wenn nötig, freigelegt.
In der Zeit, als ich noch keinen Strom hatte, waren wir natürlich sehr abhängig von der Wasserkraft. Da hat es Zeiten gegeben, ich glaube es war 1959 - ein ganz trockenes Jahr, in dem ich dringende Aufträge hatte und nur ganz wenig schneiden konnte. Da habe ich dann an meinem Wasserbettwehr noch ein paar Bretter eingeschoben und den Wassergraben Richtung Zinnbrücke angestaut. Dann habe ich die Bretter etwas gelockert, damit das Wasser wieder fließen konnte, bin zum Gatter gerannt und nun reiche das angestaute Wasser meist nur für ein bis zwei Schnitte und dann war es wieder zu wenig. Diesen Vorgang musste ich also von früh 4:00 Uhr bis zum Finster werden mehrmals wiederholen, um meine Aufträge zu erledigen. Auch für unseren Generator dreht sich das Mühlrad manches Mal zu langsam, so dass wir in unseren Lampen die 220 V Birnen gegen 110 V Birnen tauschen musste. 1957 gab es bei uns ein großes Hochwasser und es war gerade- mal einen Tag nach der Beerdigung meines Vaters. Wir waren alle noch kaputt und haben daher ein bischen länger geschlafen, als draußen die Feuerwehr hupte und uns weckte. Wir haben dann die Fluter im Mühlgraben raus gehackt, um die Mühle vorm Hochwasser zu retten. Später mussten wir die Fluter mit viel Mühe wieder in Ordnung bringen. In der Mühle selbst stand auch Wasser, das war durch die Fenster gedrungen, dadurch standen die Riemenscheiben und auch der Dynamo unter Wasser und wir hatten viel zu tun. Das war keine einfache Sache. Ansonsten hatten wir mit so viel Wasser kaum Ärger. Natürlich mussten wir immer auf der Hut sein, ständig kontrollieren und mit unseren Flutern und am Wehr regulieren, damit keine Schäden entstanden. Das galt zum Beispiel besonders bei schweren Gewittern. Auch strenge Winter haben uns zusätzliche Arbeit bereitet, weil zum Beispiel ständig das Wasserrad vom Eis befreit werden musste. Der Mühlgraben selbst ist nicht eingefroren, allerdings hat sich hin und wieder Grundeis gebildet, das wir dann aufbrechen mussten. Nachts haben wir das Wasserrad immer still gesetzt, damit nicht mal ein Lager heiß läuft und die Mühle gar in Brand steckt. Bei dieser Gelegenheit hat sich bei starkem Frost unten am Rad Eis gebildet (so ca. 15-20 cm dickes Eis), wodurch das Rad eine Unwucht bekam, dadurch nur langsam mit dem Eis nach oben ging und dann vom Eis wieder schneller nach unten gedrückt wurde. Durch diese Drehzahlschwankung wechselte auch das Licht ständig von hell nach dunkel. Ich wollte meiner Mutter, die bei diesem schlechten Licht Strümpfe strickte, eine Freude machen und das Mühlrad vom Eis befreien. Eigentlich dürfte ich das gar nicht erzählen. Ich habe also in der Transmission das große Riemenrad mit einem Holzpfosten festgesetzt, nachdem sich das Mühlrad so weit gedreht hatte, dass die Eisschicht gerade oben war. Dann bin ich von der Seite über die Eichenwelle in das Mühlrad geklettert. Durch Eisanhaftungen war der Schützen auch nicht ganz dicht, so dass immer ein bischen Wasser auf das Mühlrad lief. Bevor ich mit meiner Axt ins Mühlrad klettern konnte musste ich zunächst ein Loch in das Eis zwischen den Mühlradstreben hacken, damit ich ins Mühlrad auf die Welle klettern konnte. Dann habe ich begonnen, das über mir haftende Eis weg zu hacken, bis plötzlich der ganze Laden auf einmal losbrach, auf mich stürzte und mich mit nach unten riss. Meine Axt wurde mir aus der Hand gerissen und ich saß unten im Wasserrad zwischen den Eisbrocken. Aber was passierte nun? Durch das abstürzende Eis hatte es einen Ruck gegeben, dadurch hat sich der Stempel am Riemenrad gelöst und das Wasserrad begann sich zu drehen und nun ging die Reise ab. Die Eisbrocken gingen wieder mit hoch, rutschten runter und gingen wieder mit hoch und mittendrin war ich mit meiner Axt, die ich zwischenzeitlich wieder aufheben konnte. Natürlich habe ich um Hilfe gerufen, aber keiner hat mich gehört. Nun war guter Rat teuer. Ich bin viele Male mit weggerutscht, dann wieder ein Stück hoch transportiert worden und dann fing das Theater wieder von vorn an. Nun blieb mir nur noch eins, das Loch, durch das ich mich hineingezwängt hatte, musste ich größer hacken, damit ich dann, wenn es wieder mal nach oben ging, schnell durchspringen konnte. Ich habe lange hacken müssen, weil ich ja immer wieder hin und her geschmissen wurde, bis mir das Loch genug erschien. Dann habe ich meine Axt ins Holz geschlagen, habe mich an der Axt festgehalten und mit hoch ziehen lassen und bin dann durch das Loch auf die außen liegende Welle gesprungen. Dann haben mir aber die Beine gezittert, zumal mir natürlich auch klar war, dass ich hier hätte auch ums Leben kommen können. Als ich meiner Mutter und meinen Geschwistern davon erzählte, hagelte es natürlich Vorwürfe. Wie konntest du das nur alleine machen?
Hardi, gibt mir doch bitte einen Einblick in die letzten Jahre deiner Mühlentätigkeit, insbesondere zur Wendezeit.
Es war ja so, ich glaube 1990 war die Währungsreform und da kamen die Leute massenhaft zu mir und baten mich, doch noch ihre Lohnschnitte vor der Währungsreform durchzuführen. Ich möchte sagen, dort habe ich Tag und Nacht geschnitten. Ich habe meinen Kunden den Wunsch erfüllt und war schließlich selbst daran schuld, dass ich infolgedessen eine große Steuer zu zahlen hatte. Nach diesem Gewaltakt wurde es für mich sehr schwer. Einstellen konnte ich niemanden, weil das für mich viel zu teuer war, jeder wollte Geld (die Handwerkskammer, die Berufsgenossenschaft, die Versicherungen, die Krankenversicherungen, die Energieversorgung usw. usw.). Lohnschnitte waren plötzlich nicht mehr gefragt. Holz gab es ja plötzlich an jeder Ecke in Hülle und Fülle und billiger. Ich musste mich also nach Aufträgen umtun. Hier und da gab es auch mal etwas, beispielsweise einige spezielle Sparren für einen Dachstuhl, aber weil ich ja alleine arbeiten musste, konnte ich das ja auf Dauer gar nicht durchstehen.
Aber plötzlich gab es für mich, ich möchte sagen, doch einen Sonnenstrahl. Eines Tages stand der Superintendent von Dippoldiswalde vor der Tür. Er wusste, dass ich früher aktiv im Kirchendienst war und auch, als ich alleine war, immer mal wieder mit dem Gedanken spielte, dahin zurückzukehren. Er sagte zu mir, Bruder Herklotz, hätten Sie Interesse, eine freie Stelle, die erst in zwei Jahren wieder besetzt werden kann, bis dahin zu übernehmen und zwar in Rechenberg- Bienenmühle zusammen mit Nassau als Kantor Diakon. Da musste ich allerdings nicht lange überlegen und habe sofort ja gesagt. Nach Abgabe von Bewerbung und Lebenslauf kam kurze Zeit später der Pfarrer Dr. Lange, stellte sich vor und hat mit mir ein wunderschönes Gespräch geführt und am Ende mitgeteilt, dass man sich freuen würde, wenn ich am 1. Januar 1992 meinen Dienst antreten würde.
Hardi, hattest du vor der Wende noch die Absicht für Deine Mühle einen Nachfolger zu finden?
Nein daran habe ich nie gedacht.
Hardi, das Geschick der Mühle liegt seit 2003 in den Händen des Fördervereins, dessen Ehrenmitglied du bist. Welche Wünsche hast du für den Förderverein und was wünschst du dir vom Förderverein?
Ich wünsche mir für den Förderverein, dass er weiterhin so treue Helfer hat, vielleicht auch noch einige dazu kommen, damit die geplanten weiteren Verbesserungen auch zu Ende gebracht werden können. Da gibt es ja noch viel zu tun. Möge der Elan der ersten Stunde anhalten oder gar noch besser werden, damit sich noch viele mit freuen können über das gigantische, was für die Zukunft entsteht.
Und wenn ich noch einen Wunsch aussprechen darf – in der Mühle ist es mir zu finster. Wir brauchen in der Mühle mehr Licht, sowohl für unsere Arbeiten, als auch bei den Führungen.
Lieber Hardi, wir hoffen sehr, dass du uns als unser Ehrenmitglied mit deinem Wissen und guten Ratschlägen noch viele Jahre zur Seite stehen kannst.
Zum Schluss möchte ich dir für dieses umfangreiche und ebenso schöne wie offene Interview, das du mir gegeben hast, herzlich danken.
Hartwig Tetzner
Seyde und Dresden im Dezember 2011